Werden Sie kreativ! Ob im Do-it-yourself-Workshop oder im Managementseminar – das vielgepriesene Um-die-Ecke-Denken entpuppt sich mehr und mehr als Universalkompetenz unserer Gesellschaft.

 

Wirrköpfe oder Kopfarbeiter?

Einst die unangefochtene Domäne von Künstlern, Designern und Werbern, greift die Kreativität heute in sämtliche Bereiche des Alltags über. „Das Label klebt auf allem, was man höflicherweise nicht ‚interessant‘ nennen kann. Es bezeichnet Wirrköpfe und Kopfarbeiter, veritable Künstler wie töpfernde Hausfrauen.“ So kommentiert Gabriele Fischer, Chefredakteurin von Brand Eins, den Hype um das begehrte Schöpfertum. Und doch erhält der Begriff vor allem in der Wirtschaft eine neue Dimension – und wird unmerklich zur wichtigsten Ressource der modernen Arbeitswelt.

Doch trotz dieser Erfolgsgeschichte halten sich die alten Klischees wacker. Noch immer stelle sich manch ein Vorstand die Kreativen unserer Zeit vor als „lässige Hipster, die vornehmlich in Berliner Ladenwohnungen leben; Leute im 80er-Look mit iPad zum Soja-Latte von der Bar.“ Das sagt Wulf Schmiese, politischer Korrespondent des ZDF-Hauptstadtstudios und ehemaliges Gesicht des ZDF-Morgenmagazins, in einem Artikel des Cicero. Und räumt gleichzeitig mit den vermeintlichen Vorurteilen auf: „Jedenfalls gaben in einer Studie des Berliner Senats 70 Prozent der erfolgreichen Kreativen an, nie im Café zu arbeiten.“Designed in Germany Branchenkenner dürfte dies kaum überraschen. Denn jenseits der antiquierten Vorstellungen vom wirren Eigenbrötler oder exzentrischen Künstlernaturell bedeutet Kreativität heute weit mehr als bloße Inszenierung. 2008 zu einem eigenen Wirtschaftszweig ernannt, zählt die Kreativbranche einer Initiative der Bundesregierung zufolge 2013 bereits eine Million Beschäftigte.

Und mehr noch: Das Attribut „Designed in Germany“ werde Schmiese zufolge mehr und mehr zum Gütesiegel unseres Wirtschaftsstandortes: „Deutschland hat den Titel des Exportweltmeisters an China verloren, das weiß inzwischen jeder. Doch was landläufig kaum bekannt ist: Im Export des deutschen Designs ist Deutschland führend. Kein anderes Land exportiert so viele Produkte, die auch hier gestaltet werden.“

 

 

Von Beruf: Kreativ

Und auch jenseits des hiesigen Industrie- und Produktdesigns ist die gute Idee als Alleinstellungsmerkmal entscheidender denn je. Die Fähigkeit zum unkonventionellen Denken – jeder Manager sollte sie heutzutage haben. Das sagt zumindest die letzte CEO-Studie des Technologieriesen IBM und zählt die Kreativität zu den Top-4-Führungskompetenzen schlechthin.

Und auch das Deutsche Institut für Betriebswirtschaft (DIB) bestätigt diesen Trend: Rund 120 Millionen Euro haben sich die 145 befragten Unternehmen der Studie – darunter namhafte Branchengrößen wie Audi, BASF oder Bosch – die Einfälle ihrer Mitarbeiter in den letzten Jahren kosten lassen. Deren Nutzen wiederum schätzen sie im Gegenzug auf rund 1,2 Milliarden Euro – das wohl schlagkräftigste Argument für ein oft verkanntes Gut.

 

63 Ideen im Jahr

Doch wie lässt sich so ein gewinnträchtiger Geistesblitz entzünden? Die Experten sind sich einig: „Mehr Mut zur Offenheit“ lautet nicht nur das Credo des von IBM befragten Top-Managements, sondern auch der Grundgedanke Richard Floridas, der mit seinem Konzept der „kreativen Klasse“ vor allem die ökonomischen Aspekte des Phänomens untersucht.

Sein Erfolgsrezept für Unternehmen bringt er im Interview mit Karriere.de kurz und knapp auf den Punkt: „Erstens muss ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern den Rücken freihalten. Zweitens: Manager müssen Kreativität entfachen. Und drittens: Arbeitgeber müssen kreative Mitarbeiter als eine Investition in die Zukunft begreifen.“

Offenheit bedeutet also auch, in Sachen Ideenförderung nicht jenseits der oberen Managementetagen halt zu machen. Denn es gibt eine gute Nachricht: Jeder von uns kann kreativ sein. Unter den richtigen Bedingungen, wohlgemerkt. Das unterstreicht auch Florida: „Ich habe Unternehmen kennengelernt, die den größten Gewinn nicht aus einem revolutionären Produkt ziehen, sondern aus kleinen, kontinuierlichen Fortschritten. Vereinfacht gesagt: Kreativität ist organisch. Man kann sie nicht planen. Man kann ihr nur Platz und Freiheiten einräumen, um zu wachsen.“

 

Nobelpreisverdächtig

Während dieses Prinzip hierzulande mitunter noch stiefmütterlich behandelt wird, zeigen Beispiele wie die des japanischen Automobilherstellers Toyota, wie konsequentes Ideenmanagement funktionieren kann: Durchschnittlich 63 (!) Verbesserungsvorschläge bringt dort jeder Mitarbeiter pro Jahr ein, so berichtet der Tagesspiegel.

Wie rar sich die guten Einfälle unter dem Strich tatsächlich machen, hängt also zu einem großen Teil von jedem Unternehmen selbst ab und der Umgebung, die es seinen Mitarbeitern schafft. Überspitzt bringt das auch Ernst Hany, Persönlichkeitspsychologe an der Universität Erfurt, gegenüber der Süddeutschen auf den Punkt: „Wer im Labor eines Nobelpreisträgers forscht, der erhöht die Wahrscheinlichkeit, selbst einmal auf einen außergewöhnlichen Gedanken zu kommen und Nobelpreisträger zu werden.“ Gäbe es ein besseres Plädoyer für unser aller kreatives Potential?

Dieser Artikel wurde zuerst in der Ausgabe 02/2014 des Kundenmagazins “sachjournal” veröffentlicht.

 

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